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Warum Ikigai auch für Unternehmen wichtig ist
Was ist Ikigai und wie können es Unternehmen und Organisationen für sich nutzen? Und was haben Emotionen damit zu tun? All das erfahren Sie in diesem Beitrag.
Ikigai – Magie und Missverständnisse
Es gibt einige japanische Wörter, die sofort ins Auge fallen. Dazu gehören Kintsugi (hier ein Video von uns), Wabi-Sabi und viele andere. Abgesehen von der Schönheit, die mit diesen Begriffen verbunden wird, haben sie auch einen magischen philosophischen Touch. Ikigai" ist eines der bekanntesten Beispiele. Ikigai ist ein japanisches Gesellschaftskonzept und eine Philosophie darüber, wie man ein sinnvolles Leben führen kann.
Ikigai Doppelgänger
In den letzten Jahren ist Ikigai immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Die Menschen staunen über die geistige Frische der alternden Japaner und ihren Willen, ein Leben lang zu arbeiten.
Ein wunderbares Beispiel dafür ist der wohl berühmteste Sushi-Koch Jiro Ono.
"Auch mit 95 Jahren will ich mich noch nicht zur Ruhe setzen." - Jiro Ono
In unserem westlichen Verständnis steht Ikigai für Sinnsuche, für die Suche nach dem Sinn des Lebens, für die Frage, was Erfüllung und ein erfülltes Leben garantiert. Das Konzept ist so weit verbreitet, dass es in vielen Seminaren, Büchern und Coachings zur Sinnfindung aufgegriffen wird.
Die meisten, die das Wort Ikigai schon einmal vernommen haben, halten es für ein Venn Diagramm. Denn durch einen „Internet-Zufall“ ist fälschlicherweise das sogenannte „Purpose-Diagramm“ (Próposito) von Andrés Zuzunaga, einem spanischen Astrologen, mit dem Wort „Ikigai“ überschrieben worden und anschließend millionenfach im Internet geteilt worden. Seitdem halten die meisten Menschen Ikigai für das Purpose Diagramm. Das Diagramm von Andrés Zuzunaga stellt folgende Fragen:
„Worin bin ich gut?”
„Worin liegt meine Leidenschaft?”
„Was braucht die Welt?”
„Womit kann ich Geld verdienen?”
Dies sind sicherlich sinnvolle Karriere- und Berufsorientierungsfragen, jedoch umschreiben diese nicht das Ikigai im japanischen Sinne. Die Frage des Geldverdienens mit Sinn- und „Purpose“-Fragen gleichzusetzen kann zu schwierigen Ergebnissen führen.
Das „wahre Ikigai” — im japanischen Sinne
Die japanische Bedeutung von Ikigai verbirgt sich hinter der vermeintlich simplen Frage, was das Leben lebenswert macht.
Worin können wir Bedeutung finden?
Wozu lohnt es sich aufzustehen?
Wozu lohnt es sich, den kleinen und großen Dingen im Leben nachzugehen?
Das wirkliche Ikigai in seiner ursprünglichen Bedeutung lehrt uns nicht, was wir tun sollen, sondern wie wir die Dinge tun sollen. Das Konzept, das die Psychologin Mieko Kamiya in der Mitte des letzten Jahrhunderts erforschte, ermöglicht eine frische Perspektive für Unternehmen und ihre Organisationskultur. Das wahre Ikigai nach Mieko Kamiya ist offen und in unsere westliche Unternehmenskultur integrierbar.
Dabei fragt das japanische Ikigai nach der Ikigai Quelle und dem damit verbundenen Ikigai Gefühl.
Die Frage nach der Ikigai Quelle kann uns die Augen für die vermeintlich einfachen Dinge öffnen. Sie kann uns mehr Dankbarkeit für die Dinge im alltäglichen Leben empfinden lassen. Dazu können Kolleg:innen, die tägliche Arbeit/Aufgaben, unsere Gesundheit, unser soziales Leben oder auch unsere Versorgung mit dem Lebensnotwendigen zählen.
Die Frage nach dem Ikigai Gefühl hilft uns, eine emotionale Sprache für die bedeutsamen Dinge zu finden.
Emotionen sind nicht immer im Unternehmensalltag etabliert. Kurse zur Unterstützung und Stärkung der emotionalen Intelligenz und empathischen Führung verdeutlichen, dass Emotionen im Unternehmensalltag noch keinen großen Raum einnehmen. Obwohl die Entscheidungspraxis zu den zentralen Aufgaben von Führungskräften zählt und wir aufgrund der neurowissenschaftlichen Wende (Damasio, Kahneman) wissen, dass wir keine Entscheidungen ohne den Einbezug unserer Emotionen treffen können, ist dennoch das Gespräch über Sinn, Werte und damit verbundene Emotionen im Unternehmensalltag nicht besonders präsent.
Ikigai schafft hier einen doppelten Zugang
Was ist für uns von Bedeutung? Welche Werte spielen dabei eine Rolle? Und wie können wir den vermeintlich einfachen Dingen mehr Wert geben?
Welche Gefühle sind damit verbunden? Wie spüren wir diese Werte im Alltag? Was empfinden wir dabei?
Nachhaltigkeit, Achtsamkeit und eine gesunde Unternehmenskultur: Ikigai in Unternehmen
Die Integration der japanischen Ikigai-Praxis kann für Teams und Organisationen eine große Bereicherung darstellen. Wenn Beschäftigte ihre Arbeit als wertvoll empfinden, positive Emotionen damit verbinden und das Gefühl haben, dass ihre Anstrengungen gewürdigt werden, arbeiten sie effizienter und erzielen bessere Ergebnisse. Dies wirkt sich wiederum positiv auf die Ergebnisse, das Arbeitsklima und die Unternehmenskultur aus.
Darüber hinaus stärkt Ikigai in die Unternehmenskultur in den Bereichen:
positives und konstruktives Mindset
Teamarbeit, Teamkultur und Psychologische Sicherheit
eine konstruktive Zukunftsorientierung
eine werteorientierte Kultur
Achtsamer Umgang mit Ressourcen und Mitmenschen
eine Reflexionsebene und Stärkung der Beziehungen
eine bewusste Verbindung und Auseinandersetzung mit persönlichen Zielen und Unternehmenszielen
Dies sind nur einige Punkte, die zeigen, wie die Praxis Unternehmen effektiv unterstützen kann, ihre Ziele zu erreichen. Geeignete Formate um die Philosophie in Organisationen zu integrieren sind u.a.: Workshops und Vorträge für Mitarbeitende sowie Trainings für Führungskräfte und Personalverantwortliche.
Stöbern Sie im ersten Schritt gerne durch unsere (teilweise kostenfreien) Materialien. Wir bieten verschiedene E-Books, Workshops und Kurse zum Thema IKIGAI an.
Mit OKR Innovation als Breitensport betreiben - die Chance OKR mit JTBD zu verknüpfen
Kleine Hacks machen den Unterschied
Am 3. April 1995 kam die erster Order in sein Startup im Süden Seattles. Amazon hatte gerade seine Webseite veröffentlicht und versprochen, dass es 1 Million Buchtitel gab. So was gab es nicht und das aufkeimende Internet war noch ein Geheimtipp, den Wenige einschätzen konnten. Jeff Bezos war pfiffig und sah einen Strom von Gütern, die über das Internet verkauft werden konnten
Kleine Hacks machen den Unterschied
Am 3. April 1995 kam die erster Order in sein Startup im Süden Seattles. Amazon hatte gerade seine Webseite veröffentlicht und versprochen, dass es 1 Million Buchtitel gab. So was gab es nicht und das aufkeimende Internet war noch ein Geheimtipp, den Wenige einschätzen konnten. Jeff Bezos war pfiffig und sah einen Strom von Gütern, die über das Internet verkauft werden konnten. Der “Everything Store” war die Vision. Und in seiner unkonventionellen Art hatte er auf kein einziges Buch der 1-Million versprochenen Artikel. Wenn eine Order kam, bestellt Bezos bei einem Großhändler und schickte das an die Kunden. So baute er sein Unternehmen zunächst ohne Inventar und risikoarm auf.
Was heute unter “Lean Startup” Gang und Gäbe ist, war für Bezos ein logischer Schritt. Es sind diese kleinen Innovationen, die langfristig den Unterschied machen. Ähnlichen gesunden Menschenverstand zeigt Bezos seit das Unternehmen 1997 an die Börse ging mit seinen Investorenbriefen (als Buch hier). Ein roter Faden, der sich über all die Jahre durchzieht: Kunden zuerst und langfristig bauen. Und das über alle die Phasen von Wachstum und Wandel zu einem Unternehmen das heute knapp 800.000 Mitarbeitende zählt. Kleine Hacks, konstant durchgezogen, machen den Unterschied. Wie geht das nur?
Die Königsdisziplin: Innovation und Umsetzung
Der MIT Professor Sandy Pentland untersuchte Netzwerke und Organisationen auf ihre Innovationskraft. Er entwickelte den Gedanken von “Idea-Flow” - Mini-Taktiken, um Probleme zu lösen. Da gibt es zwei Ströme: das Finden von Mini-Taktiken im Umfeld (Exploration) und das Umsetzen dieser Ideen im Team (Exploitation). Die Balance von neuen Perspektiven und gradliniger Umsetzung machen den Unterschied aus.
OKR drängen sich in letzter Zeit als Heilsversprecher für die Umsetzungskraft in Unternehmen aus. Die Objects-Und-Key-Results (OKR) sind ein Managementsystem, entstanden bei Intel und heute von Google und prägenden Unternehmen angewandt. Die Logik ist simpel: Ziele werden in 3-Monatszyklen gesetzt, auf Wenige beschränkt, transparent kommuniziert und beschrieben. OKR bringen einige Superkräfte mit im Gepäck: Fokus, Strategiediskussion und Ownership (wenn sie nicht halbherzig oder handwerklich schlecht betrieben werden).
OKR helfen in der Praxis mit Fokus und decken damit einen Teil von Pentlands Gleichung ab: die Exploitation. Fokus stärkt die Umsetzungskraft und das ist oft schon ein Fortschritt in Teams. Vielen Funktionen im Unternehmen fehlt aber der klare Blick auf Innovation und Kundenbedürfnisse. Viele Unternehmen schreiben “Innovation” auf die Fahnen. In der Praxis ziele Mitarbeitende aber auf persönliche Zielerreichung und Abarbeiten von intern gesetzten Prioritäten. Da stellt sich die Frage: wie kann man die Kombination von Umsetzungskraft gepaart mit Innovation im Unternehmen erreichen?
OKR und JTBD geben ein Traumpaar ab
“Innovation hat nichts mit Glück zu tun”, so der Harvard-Professor Clayton Christensen. “Den Kunden und seinen Wunsch nach Fortschritt verstehen - das ist ein immenser Wettbewerbsvorteil”. Christensens Konzept von Jobs-to-be-Done (JTBD) erzielt ähnlichen Zuspruch wie OKR. Durch JTBD bekommt Innovation Systematik und das Entwickeln von Produkten einen klaren Fokus. Statt über Features und technische Beschreibungen zu argumentieren zählt für die Produktentwicklung die Einsicht in das Kundenerlebnis. “Menschen kaufen keinen Bohrer,” meinte Marketing-Professor Theodor Levitt in den 1960ern, “sie wollen ein Loch in der Wand.”
Die JTBD-Brille verbunden mit OKR lassen neue Möglichkeiten entstehen. OKR sind der Umsetzungsmuskel. JTBD sind der Innovationsmuskel. Pentlands Gleichung geht auf. Die Balance von Exploration und Execution ist in einem Prozess abgedeckt. Ziele werden demnach im OKR-System nicht mehr technisch oder intern beschrieben, sondern mit Blick auf Zielgruppe, Fortschritt und Kundensituation. Die Anwendung von JTBD auf OKR ist leicht: statt technisch oder intern-fokussiert zu planen bringt ein JTBD-Formulierung von Zielen den Kundenfokus in den Blick. Die JTBD-Brille erzwingt:
eine Zielgruppe zu benennen
deren Fortschrittswünsche zu identifizieren
und ihre Situation zu verstehen
Herkömmlich kann ein OKR-Ziel lauten: “20% neue Kunden auf die Webseite bringen”. Intern-fokussiert und frei von den Wünschen und Bedarfen der Kunden. Übersetzt auf OKR könnte dies lauten: “Marketing-Managern auf der Suche nach x helfen unsere Angebot zu finden, zu verstehen und als hilfreich für ihre Situation zu sehen.”
Die Übersetzung in JTBD-Sprache ist nicht immer intuitiv und schnell. OKR an sich haben schon eine Lernkurve von mehreren Durchgängen und Monaten, um gute Ziele zu formulieren. JTBD braucht auch eine Eingewöhnung. Das Lernen ist genau die Umerziehung, die ein Unternehmen braucht. Damit sind OKR und JTBD mehr als rein administrative Prozesse - sie sind ein Kulturtool, um Wissensarbeiter im Unternehmen zu prägen.
Bezos’ Innovations-Hacks
Zurück zu Jeff Bezos. Hier ist sein simpler Hack, um Kundenbedürfnisse mit Zielen zu verbinden. Bei Amazon gab es für jedes neues Projekt ein Dokument zu erstellen. Darin wurde das Kundenfeedback aus der Zukunft beschrieben. Wer mit einer Projektidee kommt schreibt eine Zukunftsbewertung, wen das Projekt wie zufrieden gemacht hat. Ein 5-Sterne Review in die Zukunft projiziert, was das Projekt bewirkt hat. JTBD steht so am Start des Projekts. Oder wie Steve Jobs das einst sagte: “Du musst mit dem Erlebnis des Kunden anfangen und von dort aus rückwärts arbeiten.”
Schauen wir uns ein Beispiel an. Amazon Web Service. Amazon war als Buchladen im Internet gestartet und später kam die Idee, die eigenen Infrastruktur für Kunden verfügbar zu machen. 2006 macht Andy Jassy den Vorstoß und brachte einen Projektantrag in den Vorstand. Wie immer musste so eine Bewertung enthalten: Zielgruppe, deren Problem, Defizite an bestehenden Lösungen, Wert der vorgeschlagenen Lösung.
Vergleicht man den Zukunfts-Release von 2006 mit der AWS Webseite heute hört sich Vieles ähnlich an (mehr dazu hier):
Und heute:
Das Arbeiten vom Endergebnis her erzwingt den Kundennutzen in den Fokus zu nehmen. Auch wenn Schweiß in der Umsetzung steckt bleibt der Orientierungspunkt im Blick. Was Bezos an Management-Praxis mit Zielzuständen vorgab kann ein Vorbild für Unternehmen aller Größen sein. Kundennutzen mit Umsetzung koppeln stärkt ein Unternehmen und prägt die Kultur der Firma.
Die Chance liegt auf der Hand: mit OKR Flächeninnovation treiben
OKR sind im Kommen. Bei Dynamik im Umfeld bieten sie ein Management-Tool und zeigen, dass soziale Innovation Unternehmen Superkräfte gibt. Henry Ford machte sich die Ideen von Frederick Taylor zu eigen. Peter Drucker half bei der Führung von Wissensarbeitern. Agile Methoden beflügeln Unternehmen zu mehr Geschwindigkeit. Wenn Organisationen wachsen bleibt der Fokus auf Innovation und Kunden nur selten klar im Zentrum.
Wenn OKR mit dem Jobs-To-Be-Done Brille formuliert werden entsteht ein Königsweg für Kundenfokus. Kunden interessieren sich nicht um unsere Internas. Ihr eigener Fortschritt ist ihnen wichtig. JTBD in OKR bauen die Brücke, um den eigenen Mitarbeiter diese Denke zu verankern. Wenn ein Unternehmen Execution-Power mit Kundenfokus hinbekommt wird es kaum aufhaltbar sein. Es sind diese kleinen Hacks, die den großen Unterschied machen. OKR sind im Herzen ein Kultur-Tool. OKR richten den Blick. OKR vermitteln Werte und Worte. Prägen Sie Ihr Haus hin zu Innovation und Umsetzung.
Alle Ideale brauchen Anwendung. OKR bringen den Fokus und die Umsetzung mit sich. JTBD prägen die Innovation und Kundenperspektive im Unternehmen. In der Kombination liegt ungeahnte Kraft.
Marlin Watling führte als Personalleiter zahlreiche Personalsysteme ein und leitete in seinen 15 Jahren in Konzernen in Management-Teams Diskussionen zu Effektivität, Alignment und Prioritäten. Heute berät er Unternehmen zu Transformations-Themen und hat über die wirkungsvollsten Tools aus der Ecke von Startups hier geschrieben.
Mehr auf www.fokusziele.de
Getting shift done – so sieht die Führung der Zukunft aus
“Fast in allen Organisationen herrscht Überforderung. Die Definition von Führung ist aber wie eh und je: getting shift done. Gerade in Zeiten von radikalen Veränderungen braucht es Orientierung und Sinngebung. Für Leader kommt es darauf an, einen Rahmen zu schaffen, in dem Menschen Fortschritt erzielen.” Interview mit Marlin Watling von Lumen Partners.
Ein Interview mit Marlin Watling von Lumen Partners. Von Serge Enns.
Marlin, du bist seit über 15 Jahren als Strategieberater für Großkonzerne unterwegs und beschäftigst dich viel mit Themen wie New Work, HR, Leadership und Transformation. Womit haben Organisationen heute am meisten zu kämpfen?
Viele Organisationen sind überhitzt. Es gibt zu viele Meetings und zu viele Projekte, an denen zu viele Leute beteiligt sind und die zu lange dauern. Es herrscht ein hektischer Stillstand – viel Betrieb und wenig Vorankommen. Fast überall erlebe ich Hilflosigkeit, höre ich Fragen wie: Wie schaffen wir es, mit den vielen Prioritäten zu hantieren? Wie bringen wir Dinge zum Abschluss? Und auch persönlich: Wie halten wir dieses Rennen durch? Vielen Menschen fehlt der Rahmen, dass sie sich auf das Wesentliche konzentrieren, wieder wirklich arbeiten und einfache Entscheidungen treffen können.
Das sind allerhand Baustellen. Wie siehst du hier die Unternehmensführung gefordert?
Ganz ehrlich: viele Organisationen leben in chaotischen Zuständen. Ich denke, Führung wird deswegen noch wichtiger als sie jetzt schon ist. Weil es in Zeiten von radikalen Veränderungen, wie wir sie derzeit erleben, vor allem Orientierung und Sinngebung braucht. Die Definition von Führung ist wie eh und je: getting shift done – und das wird auch so bleiben. Wer führt, muss einen Rahmen schaffen, in dem Menschen Fortschritt erzielen. Die Formen werden sich immer wieder neu finden – je nach Setting und Bedarf. Aber die Beiträge von Führung bleiben auch in den nächsten Jahren gleich: klarer sortieren, Fokus herstellen, besser kommunizieren und eine kreative Box schaffen. Und dabei sollte der emotionale Teil nicht zu kurz kommen: Jahresberichte mit guten Zahlen und zig Projekten helfen für den Überblick. Aber was sich die Leute wirklich fragen ist: Wer steht für mich ein? Wem kann ich vertrauen?
Was können Menschen mit Führungsverantwortung tun, um ihre Mitarbeitenden zu unterstützen?
Meine Erfahrung ist: Menschen lassen sich auf Führung ein, wenn sie im Konfliktfall den Kopf für sie hinhält und sie auch mit auf die Reise nimmt. Dabei reden wir über weit mehr als Bonus-Optimierung oder Engagements-Workshops – das kannst du vergessen. Leute wollen glaubhafte Identifikationsfiguren. Wer eine Vision der Zukunft zeigen kann, die für den Einzelnen relevant und attraktiv ist, und sich für auch was kosten lässt, der wird seine Organisation elektrisieren.
Wo würdest du – ganz praktisch gesehen – den Hebel ansetzen, wenn du freie Hand hättest?
Ich würde nicht auf mehr Meetings setzen, sondern auf Klärung. Ein großes Problem sind Entscheidungswege. Das dauert oft ewig, kaum einer übernimmt wirklich Verantwortung. So wird dauernd an Abstimmung und Vorlagen gearbeitet, ohne dass die Beteiligten weitermachen können. Wenn man mehr Empowerment lebt und Entscheidungen beschleunigt, wird man schneller und kommt in die Umsetzung. Da braucht es Leute, die das verstehen, Tools kennen, Teams und Organisationen helfen, ihre Verhedderung zu lösen.
Eines deiner Herzensthemen dockt hier ja quasi wie von selbst an: das Personalmanagement mit seinen Zukunftssorgen.
HR ist riesig! Die Personalkosten sind nach wie vor der größte Ausgabenblock in Unternehmen – und hier sind vor allem die weichen Themen die Flaschenhälse: richtige Mitarbeiter, Kultur, Kollaboration, Organisation von Projekten, Stimmung, Entscheidungswege, Kommunikation. Wenn man da auch nur 10% besser wird, schaltet die ganze Organisation einen Gang hoch. Dafür braucht der HR-Bereich mehr kreative Leute und einen Mix aus Linienerfahrung, Business-Knowhow und einer Sprache für die weiche Faktoren. Historisch gesehen kommt HR aus der Administration, viele Meetings drehen sich daher um Prozesse und Policies. Es würde vielen Firmen gut tun, hier mehr Gestaltungsfokus in HR rein zu bringen.
Was bedeutet das für das Recruiting von Fach- und Nachwuchskräften, mit dem sich viele Unternehmen ja regelrecht herumplagen?
An sich ist das ganz einfach: Wir haben einen Arbeitnehmermarkt. Es sind also die Mitarbeitenden, die sich ihr Unternehmen aussuchen. Nicht umgekehrt. Ihre Motivation lautet ganz oft: geile Arbeit machen können. Dan Pink macht das in seinem Bestseller “Drive” an drei Faktoren fest: Selbstbestimmung, Sinn und Perfektionierung. Das heißt: Wenn Mitarbeitende diese drei Elemente in einem Unternehmen sehen, ist der Rest ein Katzensprung.
Heißt konkret: Wer erfolgreich sein will, sollte seinen Fokus im Recruiting auf die Kreativen legen, die Wegebahner und Starter. Leute, die nur Sicherheit wollen, bleiben ja eh und diese Motivation steht ihnen oft im Weg. Das geht Unternehmen leider am meisten ab, diese Anpacker zu finden und zu entwickeln, weil ihre Größe diese Art von Persönlichkeiten häufig frustriert und fernhält. Unternehmen brauchen Platz für “geile Arbeit” – und wo es sie gibt, darf sie auch gerne gezeigt werden. Spotify mit ihrem Squad-Modell und auch andere haben es vorgemacht und es hat ihnen geholfen bei Gewinnung von Mitarbeitern.
Worauf kommt es also in der Personalentwicklung an, um vor allem junge Leute von sich zu überzeugen und sie im Unternehmen zu halten?
Unser Bildungssystem steckt im 20. Jahrhundert fest. Viel interne Personalentwicklung (PE) ist Edutainment (Unterhaltungsprogramm) oder Compliance und dient der Hygiene – also Ablenkung, Bespaßung und Pflicht. Vor allem junge Leute suchen sich ihre Informationen heute über Pull oder Sogwirkung. Genau das brauchen PE-Programme: Relevanz und neue Methoden, um wirkliche Veränderung anzustoßen. Menschen lernen am meisten durch Erfahrung, sprich: Es braucht Räume zum Probieren und Reflektieren. Und: Beziehungen sind wichtig, ebenso ab und an mal ein geiles Konzept. Wobei: Geile Konzepte sind in 5 Jahren vielleicht schon wieder ausgeleiert. Die Welt entwickelt sich schnell und es braucht Mechanismen, die Best-Practices aufzuschnappen und zu verbreiten. Personalentwicklung muss Mitarbeitenden – und vor allem Millennials – helfen, die richtigen Themen zu finden, und ihnen dann effektive Wege anbieten, wie persönliche Veränderung passieren kann.
Marlin Watling ist Psychologe und hat langjährig in Leadership- und HR-Rollen Changeprojekte in Großkonzernen geleitet. Heute berät er als Partner bei Lumen Organisationen in Zukunfts- und Mindset-Fragen. Schreib ihm, wenn du mehr von ihm wissen oder ihn in deine Organisation einladen willst. Und natürlich: Hol dir gerne in unserem Blog weitere Insights von ihm und unseren anderen Lumen Partnern ab.