Getting shift done – so sieht die Führung der Zukunft aus

Fast in allen Organisationen herrscht Überforderung. Die Definition von Führung ist aber wie eh und je: getting shift done. Gerade in Zeiten von radikalen Veränderungen braucht es Orientierung und Sinngebung. Für Leader kommt es darauf an, einen Rahmen zu schaffen, in dem Menschen Fortschritt erzielen.
— Marlin Watling

Ein Interview mit Marlin Watling von Lumen Partners. Von Serge Enns.

Marlin, du bist seit über 15 Jahren als Strategieberater für Großkonzerne unterwegs und beschäftigst dich viel mit Themen wie New Work, HR, Leadership und Transformation. Womit haben Organisationen heute am meisten zu kämpfen?

Viele Organisationen sind überhitzt. Es gibt zu viele Meetings und zu viele Projekte, an denen zu viele Leute beteiligt sind und die zu lange dauern. Es herrscht ein hektischer Stillstand – viel Betrieb und wenig Vorankommen. Fast überall erlebe ich Hilflosigkeit, höre ich Fragen wie: Wie schaffen wir es, mit den vielen Prioritäten zu hantieren? Wie bringen wir Dinge zum Abschluss? Und auch persönlich: Wie halten wir dieses Rennen durch? Vielen Menschen fehlt der Rahmen, dass sie sich auf das Wesentliche konzentrieren, wieder wirklich arbeiten und einfache Entscheidungen treffen können.

Das sind allerhand Baustellen. Wie siehst du hier die Unternehmensführung gefordert?

Ganz ehrlich: viele Organisationen leben in chaotischen Zuständen. Ich denke, Führung wird deswegen noch wichtiger als sie jetzt schon ist. Weil es in Zeiten von radikalen Veränderungen, wie wir sie derzeit erleben, vor allem Orientierung und Sinngebung braucht. Die Definition von Führung ist wie eh und je: getting shift done – und das wird auch so bleiben. Wer führt, muss einen Rahmen schaffen, in dem Menschen Fortschritt erzielen. Die Formen werden sich immer wieder neu finden – je nach Setting und Bedarf. Aber die Beiträge von Führung bleiben auch in den nächsten Jahren gleich: klarer sortieren, Fokus herstellen, besser kommunizieren und eine kreative Box schaffen. Und dabei sollte der emotionale Teil nicht zu kurz kommen: Jahresberichte mit guten Zahlen und zig Projekten helfen für den Überblick. Aber was sich die Leute wirklich fragen ist: Wer steht für mich ein? Wem kann ich vertrauen?

Marlin Watling ist Psychologe und hat langjährig in Leadership- und HR-Rollen Changeprojekte in Großkonzernen geleitet. Heute berät er als Partner bei Lumen Organisationen in Zukunfts- und Mindset-Fragen.

Marlin Watling ist Psychologe und hat langjährig in Leadership- und HR-Rollen Changeprojekte in Großkonzernen geleitet. Heute berät er als Partner bei Lumen Organisationen in Zukunfts- und Mindset-Fragen.

Was können Menschen mit Führungsverantwortung tun, um ihre Mitarbeitenden zu unterstützen?

Meine Erfahrung ist: Menschen lassen sich auf Führung ein, wenn sie im Konfliktfall den Kopf für sie hinhält und sie auch mit auf die Reise nimmt. Dabei reden wir über weit mehr als Bonus-Optimierung oder Engagements-Workshops – das kannst du vergessen. Leute wollen glaubhafte Identifikationsfiguren. Wer eine Vision der Zukunft zeigen kann, die für den Einzelnen relevant und attraktiv ist, und sich für auch was kosten lässt, der wird seine Organisation elektrisieren.

Wo würdest du – ganz praktisch gesehen – den Hebel ansetzen, wenn du freie Hand hättest?

Ich würde nicht auf mehr Meetings setzen, sondern auf Klärung. Ein großes Problem sind Entscheidungswege. Das dauert oft ewig, kaum einer übernimmt wirklich Verantwortung. So wird dauernd an Abstimmung und Vorlagen gearbeitet, ohne dass die Beteiligten weitermachen können. Wenn man mehr Empowerment lebt und Entscheidungen beschleunigt, wird man schneller und kommt in die Umsetzung. Da braucht es Leute, die das verstehen, Tools kennen, Teams und Organisationen helfen, ihre Verhedderung zu lösen.

Bonus-Optimierung und Engagements-Workshops kannst du vergessen. Leute wollen glaubhafte Identifikationsfiguren.
— Marlin Watling

Eines deiner Herzensthemen dockt hier ja quasi wie von selbst an: das Personalmanagement mit seinen Zukunftssorgen.

HR ist riesig! Die Personalkosten sind nach wie vor der größte Ausgabenblock in Unternehmen – und hier sind vor allem die weichen Themen die Flaschenhälse: richtige Mitarbeiter, Kultur, Kollaboration, Organisation von Projekten, Stimmung, Entscheidungswege, Kommunikation. Wenn man da auch nur 10% besser wird, schaltet die ganze Organisation einen Gang hoch. Dafür braucht der HR-Bereich mehr kreative Leute und einen Mix aus Linienerfahrung, Business-Knowhow und einer Sprache für die weiche Faktoren. Historisch gesehen kommt HR aus der Administration, viele Meetings drehen sich daher um Prozesse und Policies. Es würde vielen Firmen gut tun, hier mehr Gestaltungsfokus in HR rein zu bringen.

Was bedeutet das für das Recruiting von Fach- und Nachwuchskräften, mit dem sich viele Unternehmen ja regelrecht herumplagen?

An sich ist das ganz einfach: Wir haben einen Arbeitnehmermarkt. Es sind also die Mitarbeitenden, die sich ihr Unternehmen aussuchen. Nicht umgekehrt. Ihre Motivation lautet ganz oft: geile Arbeit machen können. Dan Pink macht das in seinem Bestseller “Drive” an drei Faktoren fest: Selbstbestimmung, Sinn und Perfektionierung. Das heißt: Wenn Mitarbeitende diese drei Elemente in einem Unternehmen sehen, ist der Rest ein Katzensprung.

Heißt konkret: Wer erfolgreich sein will, sollte seinen Fokus im Recruiting auf die Kreativen legen, die Wegebahner und Starter. Leute, die nur Sicherheit wollen, bleiben ja eh und diese Motivation steht ihnen oft im Weg. Das geht Unternehmen leider am meisten ab, diese Anpacker zu finden und zu entwickeln, weil ihre Größe diese Art von Persönlichkeiten häufig frustriert und fernhält. Unternehmen brauchen Platz für “geile Arbeit” – und wo es sie gibt, darf sie auch gerne gezeigt werden. Spotify mit ihrem Squad-Modell und auch andere haben es vorgemacht und es hat ihnen geholfen bei Gewinnung von Mitarbeitern.

Worauf kommt es also in der Personalentwicklung an, um vor allem junge Leute von sich zu überzeugen und sie im Unternehmen zu halten?

Unser Bildungssystem steckt im 20. Jahrhundert fest. Viel interne Personalentwicklung (PE) ist Edutainment (Unterhaltungsprogramm) oder Compliance und dient der Hygiene – also Ablenkung, Bespaßung und Pflicht. Vor allem junge Leute suchen sich ihre Informationen heute über Pull oder Sogwirkung. Genau das brauchen PE-Programme: Relevanz und neue Methoden, um wirkliche Veränderung anzustoßen. Menschen lernen am meisten durch Erfahrung, sprich: Es braucht Räume zum Probieren und Reflektieren. Und: Beziehungen sind wichtig, ebenso ab und an mal ein geiles Konzept. Wobei: Geile Konzepte sind in 5 Jahren vielleicht schon wieder ausgeleiert. Die Welt entwickelt sich schnell und es braucht Mechanismen, die Best-Practices aufzuschnappen und zu verbreiten. Personalentwicklung muss Mitarbeitenden – und vor allem Millennials – helfen, die richtigen Themen zu finden, und ihnen dann effektive Wege anbieten, wie persönliche Veränderung passieren kann.

Marlin Watling ist Psychologe und hat langjährig in Leadership- und HR-Rollen Changeprojekte in Großkonzernen geleitet. Heute berät er als Partner bei Lumen Organisationen in Zukunfts- und Mindset-Fragen. Schreib ihm, wenn du mehr von ihm wissen oder ihn in deine Organisation einladen willst. Und natürlich: Hol dir gerne in unserem Blog weitere Insights von ihm und unseren anderen Lumen Partnern ab.

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