shift happens
Martina stöhnte auf, als sie die E-Mail-Nachricht ihrer “Corporate Communications” las, in der die Entscheidung angekündigt wurde, ein neues Dokumentenmanagementsystem einzuführen. Sie hatte sich als Abteilungsleiterin mit ihrem Kollegium zuletzt große Mühe gegeben, alle relevanten Dokumente und Prozesse im bestehenden DMS abzubilden. Auch wenn das aktuelle DMS nicht das intuitivste und flexibelste System aus Martinas Sicht war, so war sie stets der Meinung, dass es alle wesentlichen Funktionen bereit stellte, die ihre Firma brauchte. Sie bedauerte, dass viele aus dem Leitungsteam das aktuelle System nicht länger unterstützen. In ihren Augen würden sich mit der Einführung einer neuen Technologie nicht die Probleme lösen, aber all ihre Arbeit in der letzten Zeit war dann “für die Katz”. Sie spürte Wut in sich hervorkommen.
Mit klopfendem Herzen und gerötetem Gesicht stand sie von ihrem Schreibtisch auf, ging an ihrer Assistentin vorbei und sagte: "Ich komme zur Mittagsbesprechung zurück”. Draußen angekommen blieb Martina kurz stehen und atmete tief durch. Und dann noch einmal. Sie lief über den Parkplatz, völlig bewusst darüber, wie ihre Bewegungen sich in diesem Moment anfühlten. Ihre Schritte waren fester und strammer als sonst. In jedem Schritt hörte sie ihre Wut. Nach einigen Metern hielt sie inne, um sich auf ihren Atem zu konzentrieren, ihn zu vertiefen. Etwas beruhigter ging sie weiter Richtung Straße. Ihre Wut war immer noch präsent.
Ein paar Häuser weiter hielt Martina noch einmal inne, diesmal länger. Ganz langsam konnte sie nun ein weiteres Gefühl erkennen, das sich neben der Wut breit machte. Sie nahm wahr, dass es eine große Herausforderung für sie war, sich an ein neues System zu gewöhnen. Als sie dieses Empfinden benannte, konnte sie sich in Erinnerung rufen, wie sie in Vergangenheit Softwareumstellungen bereits erfolgreich gemeistert hatte. Sie konnte sich eingestehen, dass es hier nicht um ihr Wohlbefinden ging, sondern darum, ihren Mitarbeitenden den Übergang zu erleichtern.
Sie atmete nun ein wenig bewusster und machte sich auf in Richtung Firma. Beruhigt wanderten ihre Gedanken zum Zeitplan für die Implementierung der neuen Software. Als sie zu ihrer Besprechung mit der Abteilungsleitung ging, lächelte Martina und sagte: "Ich bin sicher, Sie haben alle die Nachricht über das neue DMS erhalten. Lassen Sie uns das auf die heutige Tagesordnung setzen"
SHIFT HAPPENS
Ich bin der Meinung, dass jede Stellenbeschreibung diesen Satz beinhalten sollte, oder besser noch: "Eine Konstante bleibt, dass Veränderungen immer wieder passieren – oft außerhalb Ihrer Kontrolle"
Unabhängig davon, was in der Stellenbeschreibung steht, würde ich potenzielle Mitarbeiter:innen bitten, mir von den Zeiten zu erzählen, in denen sie eine große Veränderung im Unternehmen erfolgreich bewältigt haben.
Egal, welche Rolle Sie in einem Unternehmen haben - die Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen, hilft Ihnen, im Arbeitsleben erfolgreich zu sein. Hier findet Veränderung auf verschiedenen Ebenen statt: Neue Technologie ersetzt alte Technologie. Mitarbeitende werden versetzt oder entlassen. Aufgaben ändern sich.
Achtsamkeit zu praktizieren kann definitiv dabei helfen - schließlich besteht das Wesen der Achtsamkeit darin, die Art und Weise, wie sich die Dinge ständig verändern, wahrzunehmen. Dabei sind unsere eigenen inneren Gedanken und Stimmungen ein Lernfeld, ein Bereich, in dem wir wachsen können. Aber wenn es darum geht, sich an Veränderungen bei der Arbeit anzupassen, kann noch etwas anderes helfen: emotionale Intelligenz.
Anpassungsfähigkeit ist eine von zwölf Führungskompetenzen der emotionalen und sozialen Intelligenz in meinem Modell der emotionalen Intelligenz. Sie bedeutet, dass Sie sich schnell auf neue Situationen einstellen und mit vielfältigen Anforderungen umgehen können. Anpassungsfähige Führungskräfte begegnen neuen Herausforderungen mit Leichtigkeit und können mit der Ungewissheit, die Führung mit sich bringen kann, gut umgehen.
Forschungen u.a. von Richard Boyatzis, Professor an der Case Western Reserve University, zeigen: Wenn die Kompetenz Anpassungsfähigkeit stark ausgeprägt ist, lässt sich Zufriedenheit mit dem Leben und der Karriere sowie beruflicher Erfolg vorhersagen. Dies basiert auf einer Forschungsstudie, die eine Gruppe von MBA-Studenten 19 Jahre nach ihrem Abschluss untersuchte. Diejenigen, die zu ihrer Studienzeit in dieser Kompetenz hoch eingestuft wurden, waren fast zwei Jahrzehnte später am zufriedensten und erfolgreichsten.
ZWEI SCHLÜSSEL ZUR ANPASSUNGSFÄHIGKEIT
In unserem E-Book “Emotionale Intelligenz” können Sie erfahren, welche Kompetenzen in dem Bereich aufeinander aufbauen und wie sie miteinander verwoben sind. Jede ist auf ihre Weise für Führungskompetenz entscheidend, doch die Basis bilden emotionale Selbstwahrnehmung und emotionale Selbstkontrolle (self-management). Sie sind wesentliche erste Schritte bei der Entwicklung aller anderen Kompetenzen.
Emotionale Selbsterkenntnis bedeutet, dass Sie sich Ihrer Emotionen bewusst sind und wissen, wie Sie auf die Welt um sich herum reagieren - Sie sind achtsam. Mit emotionaler Selbstkontrolle können Sie dieses Bewusstsein anwenden, um Ihre belastenden Gefühle zu bewältigen und auch in stressigen Situationen ruhig zu bleiben. Diese beiden Kompetenzen sind die Eckpfeiler der Anpassungsfähigkeit.
IHRE ANPASSUNGSFÄHIGKEIT STÄRKEN
Martina hat es erfolgreich geschafft, ihre Emotionen angesichts einer unerwünschten Veränderung zu erkennen und damit umzugehen. Mit Achtsamkeit spazieren zu gehen und sich dann an vergangene Erfolge zu erinnern, ermöglichte dem rational denkenden Teil ihres Gehirns (dem präfrontalen Kortex), die Kontrolle über den Teil ihres Gehirns zurückzugewinnen, der auf Bedrohung reagiert (die Amygdala). Der Einsatz von Selbsterkenntnis und Selbstkontrolle schuf den nötigen Raum für Anpassungsfähigkeit. Ihr standen damit Ressourcen zur Verfügung, um in ihrer Rolle zu wachsen. Wäre sie nicht in der Lage gewesen, diese Kompetenzen auszuüben, hätte diese Situation vielleicht ganz anders ausgesehen. Sie hätte ins Büro des CEOs stürmen und ihre Wut herausschreien oder ihren Frust an ihrer Assistentin oder ihrem Kollegium auslassen können.
Wie können Sie Ihre Anpassungsfähigkeit verbessern? Martina hatte die Erfahrung gemacht, dass Achtsamkeit beim Atmen und beim Gehen ihr nach der unerwarteten Aufregung half. Diese Techniken waren wirksam, weil sie sie regelmäßig geübt und ihren Geist und Körper darauf trainiert hatte, ihre beruhigenden Signale zu erkennen. Sie können auf diese Techniken zurückgreifen, um sich zu beruhigen - und zwar umso effektiver, je öfter Sie sie täglich praktizieren.
Aber es gibt noch eine weitere Möglichkeit, die Kompetenz der Anpassungsfähigkeit weiter zu entwickeln: Suchen Sie bewusst nach neuen Erfahrungen und Gelegenheiten, Ihre Komfortzone zu verlassen. Je mehr Sie sich verschiedenen Möglichkeiten aussetzen, in denen Sie neue Dinge lernen und Vertrauen in die Ungewissheit gewinnen, desto anpassungsfähiger werden Sie sein. Selbst wenn das Ausprobieren neuer Dinge scheitert, stärkt dies Ihre Fähigkeit, auf verschiedene Situationen mit weniger Stress zu reagieren.
Diese und andere “stop. atme. notiere. reflektiere. reagiere”-Techniken
lernen Sie in unseren Workshops – der nächste findet hier statt.
Bei Finde Zukunft finden Sie weitere Materialien,
auch Journale für Leadership und Mitarbeitende.