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Die Kunst, erfolgreich in Unternehmen zu scheitern
Am Anfang war die Kartoffel, oder um genauer zu sein, die Bratkartoffel. Sie war dem Gast eines New Yorker Restaurants nicht gebraten genug, außerdem waren die Stücke viel zu dick geschnitten! Und da der Kunde König ist, machte sich der genervte Koch daran noch besser angebratene und dünnere Bratkartoffeln in seiner Pfanne zuzubereiten. Der Gast ließ sie wieder zurückgehen, und so ging das hin und her, bis der Koch in gemeiner Absicht eine Kartoffel in hauchdünne Scheibchen schnitt und sie einfach frittierte. Und das war die Geburtsstunde der Kartoffelchips.
Am Anfang war die Kartoffel, oder um genauer zu sein, die Bratkartoffel. Sie war dem Gast eines New Yorker Restaurants nicht gebraten genug, außerdem waren die Stücke viel zu dick geschnitten! Und da der Kunde König ist, machte sich der genervte Koch daran noch besser angebratene und dünnere Bratkartoffeln in seiner Pfanne zuzubereiten. Der Gast ließ sie wieder zurückgehen, und so ging das hin und her, bis der Koch in gemeiner Absicht eine Kartoffel in hauchdünne Scheibchen schnitt und sie einfach frittierte. Und das war die Geburtsstunde der Kartoffelchips.
Wie wahr die Geschichte ist, weiß niemand, aber sie ist wahr in ihrem Umgang mit dem Scheitern. Aus einer Krise entstand ein innovativer Ansatz, der schnell umgesetzt und getestet werden musste bis er zu einem erstaunlichen Ergebnis führte. Ein kreativer Quantensprung war geschehen, der das Scheitern im Prozess brauchte.
Ein kreativer Quantensprung war geschehen, der das Scheitern im Prozess brauchte.
Über 70% aller Start-ups in Deutschland schaffen es nicht aus ihrer innovativen Idee ein erfolgreiches Unternehmen zu machen. Statistisch nach der CB Insight Studie haben 40% von ihnen die Marktnachfrage falsch eingeschätzt
30% hatten am Ende nicht genug Finanzierung
23 % hatten kein gutes Kernteam
19% wurden von der Konkurrenz überholt
18% konnten kein profitables Produkt entwickeln
Wenn man sich den revolutionären Ansatz von Eric Ries Lean Start-ups ansieht, wird klar, dass zu viele Start-ups nicht schnell genug ihre Produkte testen und ihren Ansatz, ihre Prozesse und Produkte nicht agil genug modifizieren. Vor allem, dass sie am Ende endgültig scheitern, statt davor schon erfolgreich das Scheitern als kreativen Prozess einzuplanen.
Wer schon mal eine eigentlich großartige Idee in den Sand gesetzt hat, weiß wovon ich spreche. Mich macht es schon verrückt einen Ikea-Küchenschrank falsch zusammenzubauen. Noch beschämender ist es ein größeres Projekt in eine falsche Richtung gelenkt zu haben. Dabei gehört genau das zum kreativen Prozess dazu. Wenn man rechtzeitig einlenkt. Sonst hat man es mit dem sogenannten Cost Sunk Bias zu tun. Auf Deutsch: Kostenversenkungsvoreingenommenheit. So nennt man bei Unternehmen die andauernde Unfähigkeit Fehler zu korrigieren, und damit viel Geld zu verbrennen.
Der Schlüssel: Fail Forward
Das Gegenteil von Cost Sunk Bias ist Fail fast and fail early, ein immer häufiger angewandter Unternehmensansatz, in dem Fehler wichtig sind und schnelles Scheitern zum Prozess gehört. Nur wie funktioniert das? Was braucht ein Unternehmen, vor allem braucht ein Team für diesen kreativen Prozess? Und wer bringt einem das bei? Wir bei Lumen haben uns das mal genauer angeschaut und uns nach Beispielen umgesehen.
Pixar wurde mit Toy Story zu einer der bekanntesten und innovativsten Filmunternehmen der Welt und produziert ungebrochen kluge, unterhaltsame und erfolgreiche Filme für Kinder und Erwachsene.
Schnelles Scheitern wurde schon früh bei Pixar zum Programm, weil gerade die kreativen Prozesse eine ständige Korrektur brauchen, um gute Ergebnisse zu bringen. Fehler am Anfang einer Storyline eines Films haben später große Konsequenzen. Je früher man das merkt, desto besser kann man aus Fehlern lernen. Das Entscheidende ist hier, dass die Fehler nicht nur einfach passieren, sondern für das Gelingen äußerst wichtig sind. Bei Finding Nemo war es so. Die Geschichte stand fest, wurde aber wie gehabt in einem internen Review vor Kollegen („Brain Trust“) zur Kritik freigegeben, und scheiterte dort zum Glück im Prozess, sonst wäre nicht so ein weltweiter Erfolg draus geworden. Der Brain Trust besteht aus einer ausgewählten Gruppe von Kreativen bei Pixar, die dem Regisseur regelmäßig Feedback geben zu verschiedenen Entwicklungsstufen der Story. Oberstes Prinzip ist: Offenherzigkeit. Also nicht zurückzuhalten, sondern laut mitzudenken, auch wenn am Ende immer noch der Regisseur alleine entscheidet. Und genau dieses offenherzige Feedback führt zu einer besseren und verfeinerten Geschichte und einem Produkt, das qualitativ besser ist.
Just do it wurde zum Manifest einer experimentierfreudigen Kultur, aber wir sind Bewahrer und wagen zu wenig.
Pixar ist auch in den USA immer noch ein Pionier, aber die amerikanische Unternehmenskultur hat grundsätzlich einen anderen Ansatz beim Scheitern als die deutsche. Just do it wurde zum Manifest einer experimentierfreudigen Kultur, die zwar immer noch siegerorientiert, aber spielerischer ist.
Warum tun gerade wir Deutschen und Europäer uns dann immer noch so schwer mit dem Scheitern? Wo kommen unsere Berührungsängste her? Wir mögen gründlicher sein und nachhaltiger orientiert, aber die falsche Bescheidenheit ist uns immer noch wichtig. Wir sind Bewahrer und wagen zu wenig.
Manche kopieren das amerikanische Modell des Erfolgs und machen einen auf supererfolgreich auf Instagram. Ähnlich wie Gastarbeiterfamilien in den 50er und 60ern, die in Baracken wohnten, aber Bilder von Schlössern nach Hause schickten, vor denen sie posierten.
Wir leben in einer innerlich zerrissenen Kultur. Die unglaubwürdigen Marktschreier auf der einen Seite, auf der anderen die braven Verwalter des Erfolgs. Nur kann man heutzutage den Erfolg von gestern nicht mehr verwalten, weil sich die Märkte zu schnell ändern. Es wird also Zeit, dass wir Pioniergeist entwickeln und das erfolgreiche Vorwärtsscheitern lernen, denn:
Wir scheitern ständig und täglich, weil es ein kreativer Prozess ist, also lernen wir besser einfach daraus.
Nicht jemand, sondern etwas scheitert, und dieses etwas kann man jederzeit zusammen verbessern und anpassen.
Scheitern, Scham, Angst. Es ist eine Frage der Kultur, ob innovative Ansätze beargwöhnt werden oder interessiert aufgenommen. Die Revolution im Unternehmerischen findet zwar längst statt, die Transformation zur Agilität und Digitalisierung ist überall zu sehen, aber ausgerechnet die jüngsten Mitarbeiter und Unternehmer leiden oft darunter. Ihr sogenannter Millenial Burnout speist sich aus der pausenlosen Optimierung und daran, dass Arbeit Leben und Leben Arbeit geworden ist.
Leben ist Leistung und Scheitern beim Burnout persönlich. Und das ist was die hiesigen Millenials uns spiegeln, unsere europäische, wenn nicht deutsche Wunde. Wir können nicht sachlich scheitern, egal wie wir es sehen, es ist für uns ein komplettes Versagen.
Uns fehlen oft ein gelassener Selbstwert und eine andere unternehmerische Identität, um etwas kreativer und vor allem gelassener scheitern zu lassen.
Ist jemand der Wechsel eben aufgefallen?
Nicht jemand, sondern etwas scheitert, und dieses etwas kann man jederzeit zusammen verbessern und anpassen. Wenn aber das eigene Start-up oder die Community bei der Arbeit zur Identität wird, wird das Leben ein Erfolgskrampf und Scheitern so persönlich, dass wir nicht mehr spielerisch damit umgehen können. Am besten illustrieren das die an Karōshi gestorbenen Mitarbeiter in Japan, die oft noch jung einfach tot umgefallen sind bei der Arbeit. Es sind so viele in dieser stark von Hierarchie und Ehre getriebenen Kultur, dass dieses Phänomen einen eigenen Namen hat, Karōshi, wörtlich Überarbeitungstod. Hier ist Scheitern noch so persönlich, dass es tödlich endet. Oder der krampfhafte Versuch nicht zu scheitern.
Nur wie kann eine kreative Unternehmenskultur das sachliche Scheitern statt dem persönlichen lernen?
Als Pixar selbst in der Krise war vor ein paar Jahren wurde der Notes Day geschaffen. Eine Art firmeninterner Brain Trust, der nur möglich war, weil alle eingeladen waren an den kreativen Prozess des Scheiterns und Verbesserns teilzuhaben. Ein ganzer Tag im Jahr, der nicht wie beim Brain Trust sonst der Entwicklung eines Films galt, sondern diesmal der Entwicklung der ganzen Firma. Ein Tag, an dem alle Mitarbeiter nicht anderes tun als sich an die Lösung der Firmenprobleme zu machen, die sie vorher als Vorschläge gesammelt hatten, in absoluter Offenherzigkeit. Inspiriert übrigens auch von Toyotas berühmter und erfolgreicher Strategie vor vielen Jahren alle Mitarbeiter in Lösungsprozesse zu involvieren.
In kleinen Gruppen und ohne die Gegenwart der Manager wird am Notes Day überlegt, wie eine spezielle Herausforderung zu lösen ist. Über Hundert Probleme wurden am ersten Notes Day identifiziert, viele auf Mitarbeiterebene ohne Management gelöst und gebündelt, und an über 20 wurde danach weitergearbeitet. Die Notes Days wurden danach eine feste, jährliche Einrichtung.
Eine Art firmeninterner Brain Trust, der nur möglich war, weil alle eingeladen waren an den kreativen Prozess des Scheiterns und Verbesserns teilzuhaben.
Diese Offenheit und Wertschätzung für das Feedback der Mitarbeiter bis hin zu kollektiven Entscheidungen ohne Managementhierarchie in bestimmten Bereichen brachte erfolgreiche Innovation und die Fähigkeit agil zu sein als Unternehmen auf allen Ebenen, vom Manager bis zum Zuarbeiter. Während ein Ozeandampfer wie die Deutsche Bank langsam, aber unaufhaltsam sinkt, weil zu viele Fehlentscheidungen mitgeschleppt wurden. Die unflexible Top-Down Mentalität von Entscheidungen tat zur Gier ihr übriges. Ein klassisches Beispiel für den Sunk Cost Bias.
Wie also können wir lernen besser zu scheitern?
Gerade aus den untergehenden old school-Firmen kommen die Manager und Mitarbeiter (meist Männer!), die bei den inzwischen berühmten Fuck-up Nights ihren Frust ablassen, indem sie öffentlich ihr Versagen gestehen und darüber mit anderen lachen. Einst in Mexiko City von frustrierten Mitarbeitern erfunden, sind die Fuck-up Nights längst ein wichtiger Bestandteil der weltweiten Counterculture unserer immer noch auf Performance und Leistung gebürsteten Unternehmenswelt.
Und solange noch Unternehmen die Scham fürs Scheitern als Angstkultur weitertragen, wird es woanders eine Katharsis, eine Reinigung, ein Dampf ablassen dafür und damit auch ein Lernen daraus geben, nur leider nicht im eigenen Unternehmen.
Google kam diesem Problem auf die Spur, als man dort anfing herauszufinden, was erfolgreiche Teams ausmacht. Dabei kam heraus wie wichtig das psychologische Sicherheitsgefühl von Mitarbeiter ist für kreative, Teams.
Längst war gerade hier klar, dass der bis heute gängige Taylorismus der Industrialisierung mit seiner Arbeitsstückelung für Untergebene keine Zukunft hat, wenn Innovation das Kerngeschäft ist. Nur wie können sich Mitarbeiter sich so wohlfühlen, dass sie ihr kreatives Potenzial einbringen und vor allem: Auch damit mal was falsch machen dürfen! Die Studie ist einigermaßen bekannt, aber vor allem mit dem Blick aufs Scheitern, dem Fail Forward interessant.
Im Project Aristoteles ging vor allem darum empirisch nachzuweisen, was Teambrillianz ausmacht. 180 Team weltweit wurden erforscht und man fand mehrere Faktoren, die für die Psychological Safety, also die Zugehörigkeits- und Sicherheitsgefühl in Teams wichtig sind:
1. In guten Teams darf man dumme Fragen stellen und Fehler machen. Im Team wird man damit nicht als inkompetent, ahnungslos, negativ oder störend empfunden, im Gegenteil: Jeder hat das Gefühl, offen sein zu dürfen. Wie wichtig das ist hat die Forscherin Bréne Brown in ihrem TED-Talk “The Power of Vulnerability” aufgezeigt, der als einer der erfolgreichsten von TED gilt.
2. Dann ist da die eigene Verantwortung, also das Gefühl wirklich seinen Teil beizutragen und seinen Verpflichtungen nachkommen zu können. Und weil das nicht immer klappt, darf man gerade in einem guten Team regelmäßig andere um Hilfe bitten.
3. Klarheit. Hier wird immer deutlicher wie Individuum und Team zueinanderstehen. Nichts ist schlimmer als falsche Erwartungen und Unklarheit bei Entscheidungen. Mitarbeiter, die sich im Team wohlfühlen, wissen was von ihnen erwartet wird, was sie entscheiden können und auch dass ein Nicht-Liefern Konsequenzen hat.
4. Dann kommt Sinn. In guten Teams herrscht das Gefühl, dass das, an dem man zusammenarbeitet, Sinn macht und etwas bewirkt. Jeder Mensch möchte auf etwas Sinnvolles hinarbeiten und etwas dazu beitragen. Und das geht of nur im Trial and Error Verfahren wie schon die Psychologin Carol Dweck in ihrem wegweisenden Buch “Mindset” zeigt. Zum gesunden Mindset des Wachsens gehört vor allem das Fehler machen, daraus zu lernen und weiterzumachen.
5. Und hier näheren wir uns dem Kern: Mitarbeiter in guten Teams fühlen sich gewertschätzt und in ihren einzigartigen Begabungen gefördert und gesehen. Solange das Scheitern aber als persönliches Versagen gesehen wird, und Fehler als Makel, ist da kein Platz für Wertschätzung und Potentialförderung.
Richtiges Scheitern, also Vorwärts-Scheitern ist also meist ein gesundes Phänomen von innovativem Wachstum. Und wichtig ist hier der kreative Aspekt, den z.B. Apple und Pixar deutlich gemacht haben und der in der Agilität von Unternehmen heute immer wichtiger wird. Das endgültige Aus für viele innovative Ideen, wie sie Start-ups verfolgen, könnte also oft vermieden werden. Mit dem richtigen Fail Forward könnte die Erfolgsrate bei Start-ups in Deutschland statt bei 26% bei 50% liegen. Und damit auch Deutschland als Standort innovativer Unternehmen wachsen.
Richtiges Scheitern ist also meist ein gesundes Phänomen von kreativem Wachstum
Ed Catmull, kreativer Geist und bis vor Kurzem Vorstand von Pixar und Walt Disney Animation Studios gibt in seinem Buch Creativity, Inc. Einblick was bei guten Teams wichtig ist. Er schreibt, dass eine unfertige Idee mit allen geteilt besser ist als eine zu lang überlegte, und dass die besten Ideen von überall kommen, nicht nur vom Management oder der Kreativen im Team.
Catmull betont wie wichtig es ist nicht Risiken zu vermeiden, sondern absehbare Risiken einzugehen, indem neu Ansätze ausprobiert werden. Und wie bei Künstlern üblich kann man nicht immer gleich sagen, ob eine Idee großartig ist, sie muss erstmal an Licht gebracht und getestet werden.
Was uns also in der deutschen Unternehmenskultur noch fehlt ist kollektiv spielerisch sein zu dürfen und neue Wege einzuschlagen, auch wenn nicht alle zum Ziel führen. Und so wichtig wie schon vor einem Jahrhundert eine nüchterne Kosten-Gewinn Orientierung ist, bedarf es innerhalb der Unternehmen eine größere Freiheit aller offenherzig sein zu dürfen mit Ideen und Lösungsansätzen.
Und Apple wusste, dass es genug verrückte Kreative braucht, um zu wissen, was die Kunden morgen brauchen, von dem heute noch nicht wissen, dass sie es brauchen.
Für eine gute Balance von visionärer Kreativität und wirtschaftlichem Erfolg ist Apple ein gutes Beispiel. Apple war bewusst, was die Kunden wollten. Und Apple wusste, dass es genug verrückte Kreative braucht, um zu wissen, was die Kunden morgen brauchen, von dem heute noch nicht wissen, dass sie es brauchen. Viele Appleprodukte scheiterten übrigens, waren aber ein wichtiger Schritt des Lernens zu den erfolgreichen Produkten.
Meine persönliche Erfahrung als Gründer, Chef, Autor, Mentor und auch als Ehemann und Familienvater ist immer ähnlich: Wir befinden uns ständig in kreativen Prozessen. Vor allem in Beziehung zu anderen Menschen ist genau hier die positive Kultur des Scheiterns ausschlaggebend. Ohne die wird nichts wirklich rund. Das Scheitern muss sich vom Persönlichen ins Sachliche verlagern. Scham als Kulturangst wird ersetzt durch Experimentieren und Forschen.
Die Harvard Verhaltensforscherin Amy Edmondson nennt in ihrem TEDx Talk drei Ansätze, mit denen Teams sich sicher fühlen und besser vorankommen.
1. Die Aufgaben werden nicht als reine Erledigung betrachtet, sondern als Lernaufgaben.
2. Jeder im Team darf und soll scheitern dürfen.
3. Echte Neugier und viele zu Fragen stellen werden als Teamkultur gepflegt.
Gut und produktiv in den Erfolg zu Scheitern ist tatsächlich ein Teamprozess
Scheitern bleibt peinlich. Aber wenn wir sein Potential nutzen und es als gemeinsamen und kreativen Prozess sehen, kann es sogar Spaß machen und uns zu verrückten Erfolgen führen wie der Erfindung der Kartoffelchips. Man muss sich Koch und Gast einfach nur vorstellen wie sie staunen und die ersten Kartoffelchips der Welt zusammen genießen. Ihr kreativer Konflikt war nicht persönlich.
Mehr Freude bei der Arbeit und im Leben also. Dann darf auch beides mal ein und dasselbe sein
Sven Lager leitet mit seiner Frau das Startup www.schooloflove.berlin und ist als Berater für Kultur und Kollaboration im Team von Lumen Partners.
Die Netflix-Kultur: Film oder Fakt? // Essay
“Es mag das wichtigste Dokument jemals aus Silicon Valley sein,” so Facebook COO Sheryl Sandberg. Oha! Wenn das mal keine Ansage ist! Um den Claim noch erstaunlicher zu machen: Sandberg spricht von einer 124-seitigen PowerPoint. Und von einem HR Dokument. Sie meint damit Netflixs Personalstrategie, die 2009 für Furore sorgte und seitdem Viele inspirierte. Jetzt sind fast 10 Jahre um – und wir haben uns gefragt: wie läuft’s denn so, Netflix?
“Es mag das wichtigste Dokument jemals aus Silicon Valley sein,” so Facebook COO Sheryl Sandberg. Oha! Wenn das mal keine Ansage ist! Um den Claim noch erstaunlicher zu machen: Sandberg spricht von einer 124-seitigen PowerPoint. Und von einem HR Dokument. Sie meint damit Netflixs Personalstrategie, die 2009 für Furore sorgte und seitdem Viele inspirierte. Der Titel des Dokuments lautet „Reference Guide on our Freedom & Responsibility Culture“ und enthält ein paar steile Ambitionen für modernes HR. Daher die Welle – weil HR oft nicht für steil oder modern bekannt ist. Jetzt sind fast 10 Jahre um – und wir haben uns gefragt: wie läuft’s denn so, Netflix?
Freedom & Responsibilty wurde von Patty McCord (Head HR, Netflix) in Zusammenarbeit mit ihrem CEO Reed Hastings entwickelt, um ihre Personalphilosophie zu beschreiben. Das ist eine gute Idee – eine Grundüberzeugung wie das mit Personal und Kultur zu laufen hat. In unsrer Analyse haben einige Unternehmen (wie Pixar, Google, GE, Apple oder eben Netflix) den Mumm gehabt, ihre Kultur mit einer klaren und konträren Denke auszurichten. Wir haben das in Case Studies aufgearbeitet und diese Kulturen unterscheiden sich inhaltlich, sind aber jeweils in sich durchgängig und klar. Die HR-Philosophie von Netflix startet mit einer simplen Frage:
Welche Kultur brauchen wir als Netflix, um über mehrere Generationen Erfolg zu haben?
Als Antworten folgen 7 Aspekte und jeweils einige Ausführungen. Manches davon ist erstaunlich austauschbar („wir brauchen Passion“) und anderes ist erstaunlich („harte Arbeit ist nicht so wichtig, Effektivität ist“ oder „Prozess vertreibt gute Leute“). Das Dokument kann man hier sehen und ein Harvard Business Review Artikel beschreibt die Ideen. Wenn Leute das Dokument im Hinterkopf haben, dann kommen häufig zwei Sprüche, die wir näher unter die Lupe nehmen:
1) Behandle Mitarbeiter wie Erwachsene
2) Lass Mitarbeiter ihren eigenen Urlaub festlegen
Um mit der Analyse zu starten beginnen wir mit dem Brain hinter dem Dokument – Patty. Mr. McCord tummelte sich die ersten Jahre durch verschiedene HR-Rollen im Silicon Valley (Seagate, Sun, Borland) bis sie dann 1998 als „Chief Talent Officer“ zu Netflix stieß. Damals war der Streaming-Gigant noch mehr Idee als Organisation und Pattys Rolle bestand darin, die Kultur zu formen. Wie sie später sagte, sprach CEO Reed Hastings sie an: „Lass uns die Firma aufbauen, von der wir immer geträumt haben. Eine Firma, bei der wir immer noch gern arbeiten, wenn sie erfolgreich geworden ist.“ Und Patty war sold.
10 Jahre später kam dann das berühmte Dokument. Es ist eine Mischung aus gesundem Menschenverstand, Silicon-Valley-Mut und pragmatischer Attitüde. Daher auch die Wirkung: „Weil es sehr logisch und wahr ist.“ (Business Punk Interview) Zur vollständigen Story gehört sicher auch, dass Patty drei Jahre nach dem Dokument den Absprung von Netflix machte und heute als Autor und Consultant ihre Ansichten verbreitet. Gab es Stress? Hat es nicht funktioniert? Da forscht man vergeblich. Aber es passt zu Patty (und wohl ihrer Philosophie): es ist dumm, Mitarbeiter ewig halten zu wollen. Da ist er wieder: der Common Sense und Mut.
Behandle Mitarbeiter wie Erwachsene.
Im Netflix Dokument schimmert die einfache Maxime durch, die man seither immer wieder in HR-Diskussionen hört: „Mitarbeiter wie Erwachsene behandeln“. Das ist nett und trägt den passenden Klang für unsere Zeit und Lage. Wie sieht das in der Realität aus?
Wir Geübte im Umgang mit Erwachsenen müssen feststellen, dass Erwachsensein keine digitale Option ist. Menschen sind unterschiedlich erwachsen, auch über 18 Jahren alt. Schau in Management Meetings. McCord spricht sicher von Respekt und Verantwortungsbewusstsein. Beim Blick auf HR-Fragen stößt man hier leider schneller an Grenzen als einem lieb ist. Beispiel Gehälter.
Wir waren kürzlich mit einem Shooting Star der Startup Szene in Deutschland im Gespräch. Dort läuft das Produkt und sie können gar nicht schnell genug Mitarbeiter finden. Bisher gibt es keine Regeln zur Gehaltsfindung außer gesunder Menschenverstand. Und kaum sind sie über 500 Personen kommt ein Drama nach dem nächsten. Mitarbeiter reden miteinander – und des einen Common Sense ist nicht gleich des anderen Common Sense. Diskretion führt zu Gehaltsgefälle ohne Erklärung – und das führt zu Frust und Diskussionen.
Dann werden Anpassungen gemacht - das ganze Jahr durch. Nächstes Thema. Man trainiert die Organisation auf permanente Gehaltsverhandlungen. Um dieses Chaos in Bahnen zu lenken sind wir schnell beim Prozess und den Regeln – wann wird mit welchem Maßstab Gehalt angepasst. Zack, Regel. McCord hat Recht, dass Wachstum Regeln braucht und das schnell aus dem Ruder laufen kann. Und dann wird es inflexible und die guten Leute springen ab. Aber Regeln schaffen Gleichheit, was der ganzen Organisation guttut. Es ist eine feine Balance zwischen Regeln und zu vielen Regeln.
Erwachsenen-Mentalität reicht nicht. Nimm Home Office. Vor 2 Jahren machte die Runde, wie Yahoo seine Mitarbeiter wieder zurück ins Cubicle pfiff, weil das Arbeiten zuhause zu viele unerfreuliche Nebenwirkungen hatte. Wir kennen das: schreiende Kinder im Hintergrund auf dem Spielplatz, Echos in der Stimme von welchem Örtchen auch immer, oder das „Webcam geht gerade nicht“ Thema. Erwachsene: ja. Aber soo weit trägt die Idee auch nicht.
Warum dann die große Resonanz? Weil die Idee sinnig und direkt ist. Der unterschwellige Ton in zu vielen Unternehmen ist zu hierarchisch. Viele Personalprozeduren sind komplex und wenig nachvollziehbar. Und Leute heute kommen nicht mehr zur Ausbildung, um in der gleichen Firma in die Rente zu gehen. Sie können wechseln und tun das immer häufiger. Da brauchen Organisationen ein Update ihres Menschenbilds und müssen Mitarbeiter mehr wie Freiwillige oder Freelancer behandeln. Und in der Zeit der Wissensarbeit kennen Mitarbeiter die Jobs häufig besser als Vorgesetzte oder Senior Manager. Die Förderung von Verantwortung und Eigeninitiative braucht da entsprechende Personalprozesse und Kultur, da hat Netflix recht.
Der unbegrenzte Urlaub
Die größte virale Wirkung hatte wohl ein Beispiel im Netflix-Deck. Dort wird beschrieben, wie Netflix das Urlaubskontingent abschaffte und jeder selbst entscheiden konnte, wann und wie lange er in Urlaub geht. „Wenn wir Arbeitszeiten nicht aufschreiben,“ so die Logik im Dokument, „warum schreiben wir dann den Urlaub auf?“. Fairer Punkt – aber wie viel steckt da eigentlich als Benefit?
Zunächst muss man betonen, dass Urlaub in den USA anders vergeben wird als hierzulande. Wir sind per Gesetz dazu befugt, 24 Tage zu nehmen. Die meisten Unternehmen machen 30 Tage – und die Fälle, die das nicht machen bekommen immer mehr Stress damit, wie wir im Recruiting bei Firmen erlebt haben. In den USA ist da nichts per Gesetz geregelt – und öfter mal startet da jemand mit keinem einzigen Urlaubstag in den Job. Urlaub wird gerne als Retention-Instrument genommen (5 Tage nach 1 Jahr, 10 Tage nach 3 Jahren, etc etc, 30 Tage nach 25 Jahren). Im Schnitt nehmen Amerikaner 12 Tage Urlaub, 42% nehmen im Jahr gar keinen Urlaub.
Da das all-you-can-vacate Buffet zu eröffnen ist also mal ne Ansage. Daher auch die virale Wirkung in den sozialen Medien. Aber das ist mehr Marketing als Realität. Hoch motivierte Mitarbeiter werden kaum die 4-6 Wochen Urlaub nehmen, die ihnen zustehen. Viele Unternehmen haben das Problem von ungenutztem Urlaub und lösen es durch Verfallsfristen zum 31. März des nächsten Jahres. Daher die Welle an Eltern mit ihren Kindern auf dem Spielplatz in den letzten zwei Märzwochen.
Seit einigen Jahren ist Vertrauensarbeitszeit zunehmend usus. Kein Stundenzettel und freie Wahl der Arztbesuche. Die Realität hier ist, dass es sehr zu Gunsten der Unternehmen geht. Wer unterschreitet schon seine 40 Stunden permanent? Welches ambitionierte Unternehmen hat nicht zig Fälle mit Work-Life Balance Workshops, in denen das Life vor der Work gerettet werden muss?
Bei Netflix: welcher Arbeiter würde sich schon 70 Tage Urlaub nehmen, einfach weil er es kann? Und wie lange würde Netflix das mitmachen? So was geht dann auch nur, wenn der Kündigungsschutz entsprechend locker ist. Hierzulande würde man mit so einer Policy ziemlich zu kämpfen haben, Missstände wieder zu korrigieren. Aber selbst in den USA hat diese Urlaubsregel mehr mit Marketing zu tun als mit praktischen Benefits für die Mitarbeitenden. Kommt jemand wirklich zu Netflix, weil man theoretisch endlos in den Urlaub kann?
Aber auch hier zeigt sich die Netflix-HR Logik stimmig. Sie ist mutig, hinterfragt und schafft ab, was nichts taugt. Und deshalb hat sie zurecht solch große Aufmerksamkeit bekommen. Eine Ansage zur Kultur zieht schon Mitarbeiter an, selbst wenn es mehr Schein als Substanz ist. Generell sollten Unternehmen sich im HR mehr selbst herausfordern und klarere Stellung zur Einfachheit beziehen. Da geht sicher noch einiges.
Film oder Fiktion
Der Netflix Fall verdeutlicht uns, dass sich unsere Welt ändert. In der Wissensarbeit brauchen wir neue Modelle, die nicht aus dem Taylorismus der Fabriken kommen und über der Klassenkampfmentalität stehen. New Work braucht neue Regeln. Personal hat noch einiges an Potenzial in sich, das Spiel vorne mitzuspielen. Immer mehr Unternehmen merken, dass Mindset und Kultur Geheimwaffen sein können. Peter Drucker wird der Satz zugeschrieben: „Kultur verspeist Strategie zum Frühstück“. Und Recht hat er. Wer Personalphilosophie als zu abgehoben abtut und New Work als Spielerei aussortiert, bleibt in der Zeit stehen. Wer einen klaren Mindset für seine Organisation entwickelt und seine Kultur schärft wird vorne dabei sein. Das kann man auf Netflix sehen…
Marlin Watling war 15 Jahre im Personalmanagement, ist aktuell Partner bei Lumen und schaut gerne Serien auf Netflix, egal ob Fakt oder Fiktion. Er berät gerne Organisation zu Mindset-Themen.