Die neue Kollegin heißt AI: Wie generative Modelle Teamarbeit, Expertise und Emotionen verändern

Was, wenn ein Sprachmodell nicht nur ein Werkzeug, sondern ein echter Teampartner wird?

Eine aktuelle Feldstudie mit über 700 Professionals bei Procter & Gamble zeigt: Generative AI verändert nicht nur die Qualität von Arbeit, sondern auch, wie wir Zusammenarbeit, Expertise und soziale Verbindung im Arbeitskontext erleben.

 

1. AI als Performance-Booster – auch ohne Team

In der Studie wurde untersucht, wie gut Einzelpersonen oder Teams mit bzw. ohne AI-Unterstützung reale Innovationsaufgaben lösen. Das Ergebnis: Einzelpersonen mit AI schnitten genauso gut ab wie menschliche Zweierteams ohne AI.

Die Bearbeitungszeit war deutlich kürzer, die Lösungskompetenz gleichwertig oder sogar höher.

Die AI kompensierte typische Vorteile von Teamarbeit wie Perspektivenvielfalt, kreativen Austausch und iterative Reflexion – indem sie selbst unterschiedliche Perspektiven simulierte und Lösungsvorschläge generierte, die von hoher struktureller Klarheit und Argumentationstiefe geprägt waren.

Dadurch entsteht eine neue Form der Kollaboration: nicht zwischen zwei Menschen, sondern zwischen Mensch und Maschine, wobei die AI sowohl ideengebend als auch reflektierend wirken kann.

Generative AI wird somit zu einem leistungsfähigen kognitiven Teampartner, der Synergien nicht nur ergänzt, sondern teilweise ersetzt – vorausgesetzt, der Mensch weiß, wie er mit ihr in einen produktiven Dialog tritt.

2. Interdisziplinarität statt Silos

Ohne AI zeigten sich klare Muster berufstypischer Denkschemata: Business-Professionals lieferten primär marktnahe, R&D-Professionals technisch fokussierte Lösungen.

Mit GenAI verschwanden diese Unterschiede – die Lösungen wurden ausgewogener und enthielten sowohl technische als auch wirtschaftliche Aspekte.

Warum? Weil die AI als Partner Inhalte aus verschiedensten Disziplinen zusammenführt, Muster erkennt, vergleicht und Vorschläge generiert, die nicht aus einer einzigen Fachlogik stammen.

GenAI agiert als Brückenbauer, der systematisch Verbindungen herstellt, Kontext ergänzt und alternative Sichtweisen aufzeigt – und damit implizit dazu beiträgt, dass Menschen aus ihrer eigenen Denkwelt heraustreten.

Das Ergebnis: integrative, fachübergreifende und innovative Lösungsvorschläge, ohne dass explizit ein interdisziplinäres Team notwendig war.

3. AI als emotionaler Resonanzraum

Teilnehmende mit AI berichteten von mehr positiven und weniger negativen Emotionen – darunter mehr Enthusiasmus, Energie, Motivation sowie weniger Stress, Frustration und Überforderung.

Diese emotionale Wirkung erklärt sich dadurch, dass AI nicht nur als Werkzeug, sondern als interaktiver Resonanzraum erlebt wird. Die Modelle reagieren prompt, konsistent und wertfrei – und bieten damit eine Form von Stabilität und Orientierung, die im Alltag oft fehlt.

AI wird damit zu einem sozialen Interface, das auch emotionale Regulation erleichtert: durch strukturierte Rückmeldung, durchgängige Ansprechbarkeit und das Gefühl, gehört und verstanden zu werden – obgleich keine echte Beziehung besteht.

Dieser Aspekt ähnelt der eines Teammitglieds, das Halt gibt, Feedback strukturiert anbietet und Sicherheit in komplexen Problemlagen vermittelt.

Besonders in kreativen oder unsicheren Phasen kann dies zu einem emotionalen Sicherheitsnetz werden, das Exploration und Problemlösung überhaupt erst ermöglicht.

4. AI ermöglicht psychologische Selbstprojektion

Durch personalisierte Stimmen, tonale Anpassung und dialogische Interaktionen (vgl. das Projekt Voice In My Head der Künstlerin Lauren Lee McCarthy) kann AI zur Verstärkung gewünschter Selbstbilder werden.

In McCarthys Experiment konnten Teilnehmende ihre inneren Monologe durch die Aussagen eines Sprachmodells mit In-Ear-Kopfhörern ergänzen lassen – und das sogar in Form ihrer eigenen Stimme. Dabei kommentierte das Modell alles, was es durch ein Mikrofon aufnehmen konnte. Das Ergebnis: ein personalisiertes System, das nicht nur kognitiv, sondern auch emotional anschlussfähig wurde.

Diese Form der Interaktion schafft eine Projektionsfläche: Die AI wird zum Spiegel, in den sich Nutzer:innen selbst hineinlesen und hineinfühlen. Das stärkt das Gefühl von Kontrolle, Klarheit, manchmal auch Trost.

Für Coaching, Selbstführung oder mentale Unterstützung ergeben sich dadurch neue Perspektiven: AI kann zum Begleiter einer konstruktiven inneren Stimme werden – einer, die nicht verurteilt, sondern unterstützt.

Gleichzeitig liegt hier eine kritische Schwelle: Wo emotionale Nähe entsteht, wächst auch das Risiko von Überidentifikation, Realitätsverschiebung und unreflektierter Manipulation. Die Projektionsfähigkeit der Modelle wird damit zu einem ambivalenten Faktor, der ethisch und gestalterisch begleitet werden muss.

5. Vertrauensparadox: bessere Ergebnisse, weniger Zutrauen

Obwohl AI-unterstützte Resultate objektiv besser waren, vertrauten Teilnehmende ihnen weniger.

Dieses Phänomen zeigt sich in der Praxis immer häufiger: Je weiter sich AI-Systeme in ihrer Ausdrucksfähigkeit, Geschwindigkeit und rhetorischen Eleganz verbessern, desto stärker entsteht bei vielen Nutzer:innen das Gefühl, „nicht selbst“ am Ergebnis beteiligt gewesen zu sein.

Diese Distanz kann zu einer paradoxen Reaktion führen: hohe Qualität, aber geringes Ownership. Menschen neigen dann dazu, ihre eigenen Beiträge zu entwerten oder sich der Verantwortung zu entziehen.

Gleichzeitig gibt es mit dem sogenannten Automation Bias eine Tendenz, auch zu viel Vertrauen in maschinelle Systeme und zu wenig in die eigenen Fähigkeiten zu setzen – oft ohne die Funktionsweise oder Grenzen der Systeme zu kennen.

In der Studie wurde deutlich: Vertrauen in AI ist keine Funktion der Leistung, sondern des Verständnisses und der Beziehungsgestaltung.

Das macht deutlich: Es braucht gezielte Formate zur Stärkung von Selbstwirksamkeit, kritischem Umgang, Reflexionsfähigkeit und Beziehungskompetenz im Dialog mit AI – insbesondere in komplexen oder hybriden Entscheidungskontexten.


Was bedeutet das für Unternehmen?

Das Working Paper The Cybernetic Teammate: A Field Experiment on Generative AI Reshaping Teamwork and Expertise legt nahe:
AI kann funktionale Rollen im Team übernehmen, disziplinäre Grenzen aufweichen und sogar als emotionaler Resonanzpartner wirken.

Gleichzeitig fordert sie uns heraus, neue Kompetenzen zu entwickeln – im Umgang mit Vertrauen, Verantwortung und der Gestaltung dialogischer Systeme.

Der Begriff der „Cybernetic Teammate“ mag noch fremd klingen. Doch die Realität zeigt: Wir stehen am Beginn eines neuen Zeitalters der Zusammenarbeit – mit AI nicht nur als Werkzeug, sondern als aktiver Teil unseres kollektiven Denkens.

 

Aus unserer Praxis: Erfahrungen mit über 100 Führungskräften im Einsatz von GenAI

Die Erkenntnisse aus dem Paper spiegeln sich exakt in unseren eigenen Erfahrungen wider: In der Zusammenarbeit mit über 100 Führungskräften aus unterschiedlichsten Branchen – vom Mittelstand bis hin zu DAX-nahen Unternehmen – beobachten wir ein konsistentes Muster:

  • AI fördert Reflexion und Entlastung, gerade bei strategischen, konzeptionellen und kommunikativen Aufgaben.

  • Führungskräfte lernen, AI nicht nur als Tool zur Effizienzsteigerung, sondern als Sparringspartner für Entscheidungsprozesse zu nutzen.

  • Der Schritt vom Prompting zum Co-Thinking ist dabei entscheidend – und lässt sich trainieren.

  • Besonders stark wirken die Modelle dort, wo es um Ambiguitätstoleranz, kreative Exploration und emotionale Komplexität geht.

Führung mit AI ist nicht weniger menschlich – sie wird dialogischer, bewusster und in vielen Fällen auch tiefgründiger – es liegt an uns, das “wie” der Zusammenarbeit zu gestalten.

 

 
 
 

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Klaus Motoki Tonn
Integratives Coaching | EMDR | IFS | Führung & innere Klarheit

• Search Inside Yourself Instructor und Teil des Ausbilder-Teams
• Stressbewältigungstrainer und Resilienztrainer nach §20 V SGB
• Fortbildungen Kuntstherpapie (Art Therapy) an der University of Hertfordshire 
• Logotherapie Ausbildung Elisabeth Lukas Archiv (laufend)
• Zertifizierter Time to Think Facilitator und Coach 
• EMDR Ausbildung EMDR Ausbildungsintitut
• EMDR und ISF (Internal Family System) Fortbildung bei Dr. Kendhal Hart
• NET Narrative Exposure Therapy Ausbildung, NET-Institute
• PITT – Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie, Prof. Dr. Luise Reddemann

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