Tools sind das falsche Ende, Mann!
Es gibt Dinge im Leben, die muss man ziehen. Und andere sind zum Schieben da. Der Unterschied hat was. Probier mal nen Hund mit der Leine zu schieben.
Im aktuellen Agilitäts-Tsunami beschäftigt sich jeder mit den Tools, die es so zu lernen gibt. Scrum, UX, Design Thinking, jtbd, MVP etc. Da gibt es natürlich auch wieder schnell einige, für die sich das wie Ballermann anhört – überlaufen, laut und nix für feine Gemüter. Was ist, wenn die Tool-Diskussion das falsche Ende in der Change Initiative ist? Damit kommt man nicht weit – eben wie einen Hund mit der Leine schieben.
Warum Design Thinking nicht abhebt
Vor 12 Jahren war ich als Design Thinking Coach bei der SAP unterwegs. Damals hatte Hasso Plattner das richtige Näschen, dass SAP Software in der Bedienung zu kompliziert war. Klar, deutsche Techniker sind von Hause aus keine UX-Künstler. Hasso stieß auf Ideo und deren Mischung aus Empathie, Prototypen und Verbesserungen. Design Thinking formte sich und Hasso verordnete der SAP eine Design-Kur. Ein paar interne Multiplikatoren wurden gesucht und so tingelte ich mit Programmierer-Teams und Managern durch die Welt und wir bauten Prototypen für Parkplätze, Bahnhöfe und Einkaufszentren (brauchten ja ne schnelle, praktische Spielwiese).
Seit dieser Zeit schwillt im Land die Design-Thinking-Welle weiter an. Und zurecht. Braucht doch die deutsche Ingenieurskunst ne gute Dosis Kundenverständnis und Nutzbarkeit. Viele Firmen und Abteilungen sind auf den Zug aufgesprungen und schulen und experimentieren. Wenn wir bei Firmen zu Gast sind fragen wir, wer schon mal Design Thinking gehört hat oder kennt. Mittlerweile sind das 70-80% der Leute. Not bad.
Dann kommen wir aber mit der Frage, wer Design Thinking schon mal im Projekt angewandt hat. Niemand. 1x im Projekt? Nada.
Echt jetzt?
Was läuft denn das schief? Das Problem ist relativ einfach. Schulung ist leicht möglich. Da hat man sein Budget und soll sich auch mal mit neuen Themen beschäftigen. Also geht am auf die Design-Thinking Schulung. Man wird heiß aufs Thema, versteht es und bekommt einen Leitfaden mit.
Aber die Praxis plant ja munter ihre Projekte wie bisher. Scope festgelegt, Risiken bewertet, Budget zugeteilt und Stakeholder identifiziert. Da ist irgendwie dann von Anfang an kein Platz für Interviews, Personas und iterative Prozesse. Sprich, die Prozesse des Alltags walzen ohne zu Fragen über die Design-Thinking Ambitionen.
Tools brauchen den richtigen Kontext
Aus unsrer Sicht startet man das Design-Thema am falschen Ende. Tools kommen zum Schluss. Sie sind nicht der Anfang der Veränderung. Wir schlagen hier mal ein KET-Modell vor – Kopfkino, Entscheidungen und Tools. Veränderung läuft nach KET-Logik und geht viel leichter wenn es in dieser Reihenfolge aufgesetzt wird.
Kopfkino steht am Anfang. Für wirksame Veränderung braucht es ein Bild, wie das Leben anders aussieht. Wenn ich seit 10 Jahren in die gleiche Abteilung eintrudle, dann auf eine Schulung gehe (als einziger meiner Abteilung), dann brauche ich eine animierte Vorstellung davon, wie mein Alltag anders aussieht mit der neuen Denke. Also muss irgendjemand ein Kopfkino erzeugen, das mir ein Bild davon gibt, wie es anders laufen wird. Denn wenn ich kein Kopfkino habe, dann gehe ich weiter wie bisher. Wie der Mensch denkt, so lebt er.
Kopfkinos sind Visionen. Sie beschreiben eine veränderte Realität. Sie bewegen die Vorstellungskraft und oft auch die Emotionen. Damit meinen wir nicht Statements aus drei Sätzen, die mit einem 15-köpfigen Team erarbeitet wurden. Wir meinen Leidenschaft und Inspiration. Wir meinen die Sehnsucht nach dem Meer, in der sich der Mitarbeiter selbst sieht. Das Land, in dem Milch und Honig fließt. Kopfkinos ziehen, sie schieben nicht. Sie geben ein eindrückliches Bild, wie man leben könnte. Und sie machen Lust darauf.
Wo kommen die Kopfkinos her? Das ist zum Teil Strategie und dann gute Kommunikation. Meist müssen Firmenlenker oder Bereichsleiter in Vorleistung gehen. Sie müssen ihre Wünsche und Ambitionen ausarbeiten, so dass sie Kopfkino-Material werden. Und das muss vor der Schulung kommen und Teil der Schulung sein.
Entscheidungen kommen als nächstes. Das Kopfkino ist der Auslöser und muss dann unterstützt werden durch ein paar Änderungen. Es kostet.
Erfolgreiche Firmen haben sich über die Jahre optimiert. Eine gewisse Disziplin muss da sein, die den Zweck der Firma erfüllt. Prozesse wurden eingeführt und Ersparnisse realisiert. Man hat sich auf ein Ziel hin optimiert und das läuft. „A system does what a system does,“ sagte einst Stafford Beer. Und genau die Logik in diesem System macht es stark, aber auch starr. Wenn jetzt eine andere Logik Einzug erhalten soll steht sie in Konkurrenz zum bestehenden System. Das ist ein echter Konflikt, der mit Entscheidungen aufgelöst werden muss.
Budgets müssen anders verteilt, Erfolg anders gemessen werden. Prozesse brauchen neue Formen, Zeit muss zugeschossen und Entscheidungen anders getroffen werden. Und Verantwortungen und Vorgehen müssen sich ändern.
Ist ja nicht so, dass Mitarbeiter 20% ihrer Zeit rumsitzen und warten, dass ihnen jemand sagt, sie sollen bitte neue Ideen haben und Prototypen bauen. Leute sind oft zu 120% verplant, bekommen noch Projekte von der Seite rein und müssen Elternzeitvertretung in der Abteilung managen. Viel Spaß, da Design Thinking einzuführen.
Zum Schluss kommen die Tools. Wenn der Kopf Zukunft sieht und der Rahmen durch Entscheidungen geschaffen wird, dann braucht man ein Vorgehen. Innovations-Tools sind ja nichts anderes als Ideen zu Vorgehensweisen. Natürlich braucht es Schulung, Übung, Lernkurven und Begleitung. Wenn diese auf den richtigen Rahmen treffen, dann haben sie enorme Wirkgewalt. Sie können die Logik der Firma ändern.
Was wir hier vorschlagen ist ein Dreiklang aus Sollen, Wollen und Können. Kopfkino, Entscheidungen und Tools müssen aufeinander abgestimmt sein. Sie müssen in der Reihenfolge kommen, sonst frustriert man neue Gedanken und verbaut ihnen den Weg in die Organisation. Kein Tool der Welt wird auf unbereitetem Boden tiefe Wurzeln schlagen. Organisationen geben enorm viel Geld für Schulung, Konferenzen und Inspiration aus. Mit dem richtigen Vorgehen bringt diese Investition noch mehr Frucht und kann die gewünschte neue Welle in der Firma auslösen.
Marlin Watling war lange Zeit Personalleiter und hat so manchen Change begleitet. Nun ist er Partner bei Lumen und hilft Unternehmen, Transformation besser und nachhaltiger zu gestalten.