Braucht ein Unternehmen Werte? Und wenn ja, wozu eigentlich?

Was bewegt ein syrisches Flüchtlingspaar in kürzester Zeit ein erfolgreiches Cateringunternehmen zu starten? Was bewegt einen New Yorker Clubpromoter eine Organisation zu starten, die Millionen Menschen Zugang zu Bildung, Würde und Wohlstand bringt, indem sie Zugang zu frischem Trinkwasser haben? Was gibt Menschen eine visionäre Kraft und die tägliche Weisheit, wie man große Ziele mit kleinen Schritte erreicht und Scheitern nicht als Versagen, sondern als Lernschritt sieht? Und was befähigt sie mit schnell sich verändernden Umständen, Erwartungen und Marktveränderungen klarzukommen und sowohl analytisch wie intuitiv gute Entscheidungen zu treffen?

Fast jeder kennt heute Simon Sineks Ted Talk zum Warum eines jeden Unternehmens. Das Warum bestimmt den Erfolg einer jeden Organisation, die Motivation. Und die entspringt den Werten der Gründer und des Unternehmens.

Alles, was wir tun, ist mit der Sinnfrage verknüpft: Warum? Was ist der Sinn des Lebens? 42 ist die Antwort künstlicher Intelligenz im Hitchhiker’s Guide to the Galaxy. Für uns ist sie etwas komplexer. Wir fragen und beantworten diese Frage jeden Tag meist unbewusst, denn wir versuchen unserem Leben einen Sinn zu geben, indem wir eine Ethik haben, Werte, die unser Handeln bestimmen. Geldverdienen oder besser als anderen zu sein sind keine Werte, sondern Resultate. Großartige Dienstleistung oder Produkte ebenso.

Wir wissen inzwischen, dass es ein Fehler war Wissens- und Arbeitsbereiche zu trennen. Wirtschaft kann nicht ohne Philosophie und soziale Verantwortung, und andersherum ebenso. Unternehmen, ganz gleich, was sie tun, haben eine Botschaft, die immer ihre Werte mitvermittelt. Und mit diesen Werten steht und fällt jedes Unternehmen, in jeder Hinsicht, denn aus ihnen kommt jede Motivation. Die Frage ist also nicht: Braucht ein Unternehmen Werte? Sondern:

Versteht ein Unternehmen die eigene Werte klar zu formulieren, in gelebte Werte zu investieren und diese Werte als Herzstück jeder Motivation im Unternehmen zu sehen?

Früher hielten man in der Wirtschaft einen ganzheitlichen Ansatz oft für esoterisch und sozialromantisch. Heute weiß man, dass jedes Unternehmen ein komplexer Organismus ist, der klare und einfach Werte braucht, die auf jeder Entscheidungsebene sichtbar ernstgenommen und gelebt werden müssen.

Viele Unternehmen und Organisationen haben einen Pool von Werten, die sie vertreten wollen. Und jedes Unternehmen hat wie jede Familie oder Arbeitsgemeinschaft Schwierigkeiten, diese Werte auch jeden Tag gelebt zu sehen. Oft sind die Werte zu vage, um relevant zu sein, um alle Menschen in einem Unternehmen zu motivieren. Und noch häufiger fehlt es an der Ownership, der Einladung diese Werte auch mitbestimmen zu können, ganz gleich wie klar sie vorgegeben werden.

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Um zwei weitere Fragen vom Anfang zu beantworten: Der New Yorker Clubpromoter Scott Harrison startete Charity Water, eine NG Organisation, die zehn Jahre nach ihrer Gründung einer Million Menschen Zugang zu frischem Trinkwasser verschafft, und bisher 300 Millionen Dollar Umsatz durch Spenden gemacht hat. Sein Warum: Mit dem Zugang zu Trinkwasser alle Lebensbereiche der Armen verbessern wie Familie, Bildung, Arbeit.

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Und das Syrische Paar mit dem erfolgreichen Catering Unternehmen sind Mohammed Al Ghammian und Malakeh Jazmati aus unserem Sharehaus Refugio, die ein sehr klares Warum haben: Sie wollen die Schönheit und den Reichtum der Syrischen Kultur am Leben erhalten, was Ihnen auch durchs Essen gelingt: Die Syrische Küche ist so einfach und komplex wie die italienische und uns meist unbekannt.

Wie entscheidend das Warum und die Werte sind zeigt das Sharehaus Refugio, das wir 2015 in Berlin als soziales Unternehmen gegründet haben. Geflüchtete und Einheimische arbeiten unter einem Dach und werden zu einem Beispiel wie es auch anders geht zusammen in Deutschland. Das Experiment gelang so weit, dass eine Identität daraus entstand, und Menschen sich im Haus mit dem Sharehaus identifizieren. Nicht nur weil sie die Ideale und Werte gut finden, sondern weil die Ethik & Werte zusammen erarbeitet und gelebt wurden.

Die Werte waren durch uns Gründer und Leiter größtenteils vorgegeben, das gehört zur Vision. Jedes Unternehmen braucht diese bewusst kommunizierten Werte im Fundament. Und oft scheitert es dann an der Umsetzung. Von der Idee aufs Papier und dann ins Mitarbeiterteam, das ist immer harte Arbeit, die sich aber bezahlt macht. Werden Werte nicht umgesetzt überleben viele Unternehmen den Stresstest nicht, wenn er kommt, und er kommt immer dann, wenn es gerade nicht passt.

Wir als Menschen, Mitarbeiter und Unternehmer brauchen also nicht mehr Werte auf dem Papier, wir brauchen sie auch nicht genauer definiert wie Gerichtsurteile. Was wir brauchen sind tägliche Umsetzungen und Verhandlung dieser Werte. Der Schlüssel dazu ist die Ownership, die Partizipation, die keineswegs eine gesunde Hierarchie gefährdet, im Gegenteil.

Im Sharehaus Refugio starteten wir Workshops mit den Bewohnern und Mitarbeitern. Wir gaben Werte vor wie:

Jeder Mensch ist begabt und gleich wichtig in der Gemeinschaft.

Jeder Mensch, gleich welchen Geschlechts, Religion oder Kultur ist wertvoll.

Ganz gleich welche Konflikte da sind, jeder grüßt freundlich. usw.

Ich bin verantwortlich für die Entscheidungen, die ich treffe & getroffen habe in meinem Leben”

Auf den ersten Blick sind das ganz grundsätzliche Werte und jeder kann mit ihnen einverstanden sein. Aber es ist wie mit unserer Demokratie. Fast alle sagen, dass unser Grundgesetz und unsere darin verankerten Werte gut und wichtig sind, aber wir merken selten, wie sehr wir diese Werte täglich verraten durch unsere Meinungen, Ängste und Entscheidungen, weil wir sie nicht geübt haben. Werte am Leben zu halten ist harte, wertvolle und am Ende gewinnbringende Arbeit. Und was für die sehr diverse Dynamik zwischen Geflüchteten und Einheimischen gilt, gilt umso mehr für die produktive Zusammenarbeit von Mitarbeitern.

Unsere Workshops im Sharehaus Refugio zeigten, dass wir uns fast immer einig waren, aber Werte komplexe Untertöne haben. Respekt, Freiheit, Gemeinschaft kann man leicht in einen Wertekodex fassen, aber in ihnen wohnt ein Reichtum an Erfahrung, der geteilt werden will. Eine Frau aus Somalia hat eine andere Erfahrung mit und eine andere Erwartung an Respekt als ein deutscher junger Mann, der Anerkennung sucht. Aber beide tragen dazu bei zu verstehen, auf welch positive Weise Respekt komplex ist.

In den Workshops durfte jeder persönliche Erfahrung und Sicht auf ein Thema teilen, die Runden wurden nur moderiert, keiner wurde unterrichtet. Am Ende gingen wir bereichert auseinander und wenn es z.B. zum Thema Respekt kam, fühlte sich jeder Teil dieses gelebten Wertes, weil seine oder ihre persönliche Sicht gehört wurde, und weil alle anderen wussten wie diese Person von ihnen Respekt erfährt. Wenn jetzt von Respekt gesprochen wurde bei Haustreffen, bei Konfliktlösungen und der Vision des Sharehauses, konnten alle etwas mit dem Begriff anfangen.

Wir gingen noch einen Schritt weiter. Unsere über Jahrhunderte hart erarbeiteten demokratischen Werte, sind nur so viel wert, wie wir sie tatsächlich leben. Jedem geflohenen Menschen, nein, allen, die ins Sharehaus kamen, ob als Bewohner oder als Gäste, sagten wir: “Dein Weg hierher war sicher schrecklich, aber wir sind froh, dass du hier bist, denn wir brauchen dich in Deutschland.”

Es änderte nichts daran, dass wir das Haus sehr hierarchisch führten mussten, also mit viel Klarheit, die ein Schutzort braucht, aber die Einladung, Gesellschaft mitzugestalten und nicht Gast zu sein, brachte bessere Ergebnisse. Die Menschen im Haus fühlten sich wohler und über 80% haben innerhalb von 18 Monaten Arbeit gefunden oder Ausbildung, haben Freunde außerhalb ihres Kulturkreises gemacht und Deutsch gelernt. Drei Grundvoraussetzungen für eine gelungene Integration.

Gesunde Unternehmenskultur besteht für uns heute aus flacheren Hierarchien, agilen Teamstrukturen und einem größeren Vertrauen in die Entscheidungen von Mitarbeitern. Und wir lernen dankbarerweise das Scheitern als wertvollen Schritt zu sehen, der schneller und gründlicher zu einer höheren Qualität der Ergebnisse führt. Aber gerade diese kluge Evolution der Unternehmenskultur braucht Hilfe bei dem kontinuierlichen Erhalten, Erneuern und Vertiefen von Werten, die das Unternehmen personell, sozial und wirtschaftlich gesund halten.

Unsere Entwicklung zu größerer Partizipation und flacheren Hierarchien eröffnet die Möglichkeit zu großem Wachstum, aber echte Ownership muss konsequent mit Hilfe von außen umgesetzt werden. Viele Unternehmen und vor allem Startups bahnen visionär einen Weg ins neue Arbeiten, bremsen sich aber innerlich aus, indem ihre Werte intern nicht konsequent und partizipatorisch verankert werden.

Wir bei Lumen setzen genau da an. Wir gehen an die Wurzel und kümmern uns darum, dass Unternehmen eine starke und gesunde Wertebasis haben, die auch umgesetzt und von allen geteilt wird. So wie die Digitalisierung ein wichtiger unternehmerischer Quantensprung ist, ist es die sinnstiftende Unternehmenskultur, die ein klares Warum braucht.

 

Sven Lager startete das Sharehaus in Berlin, schreibt für sein Leben gern und transformiert mit Lumen Organisationen.

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